Familienpolitische Leistungen in Deutschland

Immer wieder wird behauptet, der Staat gebe jährlich rund 200 Milliarden Euro für die Förderung der Familien aus. Mit der vorliegenden Fachinformation stellt der Familienbund der Katholiken den tatsächlichen Umfang der Familienförderung in Deutschland dar. Des Weiteren wird erläutert, welche Risiken Wirksamkeits- und Effizienzprüfungen im familienpolitischen Bereich mit sich bringen, wenn sie nicht an familienpolitischen Zielsetzungen ausgerichtet sind. Schließlich informieren wir über die Funktionsweise und die Wirksamkeit der nach den Medienberichten in der Studie kritisierten Instrumente.

 

1.)       Wie hoch ist die Familienförderung in Deutschland tatsächlich?

Der in den Medien immer wieder genannte Betrag von 200 Milliarden Euro jährlichen Familienleistungen vermittelt der Öffentlichkeit den Eindruck einer großzügigen Förderung mit weiten Umverteilungsspielräumen. Die enorme Summe kommt allerdings nur dadurch zustande, dass Maßnahmen einbezogen werden, die nicht der Förderung von Familien dienen. Sie knüpfen entweder gar nicht an Familien an, wie das Ehegattensplitting. Oder sie verfolgen andere – zumeist verfassungsrechtlich vorgegebene – Zwecke, wie die Steuerfreistellung des Kinderexistenzminimums.  

 

So ist der überwiegende Teil des Kindergeldes keine Familienförderung. Die mindestnotwendigen Kosten für Kinder müssen aus verfassungsrechtlichen Gründen steuerlich frei gestellt werden, da die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern in dieser Höhe eingeschränkt ist. Da bei der Berechnung der monatlichen Lohnsteuer grundsätzlich kein Kinderfreibetrag berücksichtigt wird, zahlen Eltern von ihrem Erwerbseinkommen auch auf die Mindestkinderkosten zunächst in vollem Umfang Steuern.[3] Das Kindergeld dient dann als Rückerstattung der zu viel erhobenen Lohnsteuer. Der Staat gibt insoweit lediglich das zurück, was er sich nicht hätte nehmen dürfen. Nur der in unteren und mittleren Einkommensbereichen über die Steuerfreistellung hinausgehende Teil des Kindergeldes ist Familienförderung. Im Jahr 2012 entfielen von der Gesamtsumme des Kindergeldes in Höhe von 38 Mrd. Euro lediglich 18 Mrd. Euro auf die  Familienförderung.[4]

Beispiel:

Eine Familie mit einem Kind und 3.000 Euro monatlichem Bruttoeinkommen zahlt zunächst 233 Euro Lohnsteuer. Das sind 124 Euro zu viel, weil auf das steuerfreie Existenzminimum des Kindes ebenfalls Lohnsteuer erhoben wird. Von dem gezahlten Kindergeld in Höhe von 184 Euro entfallen also 124 Euro auf die Rückzahlung zu viel erhobener Steuern, lediglich 60 Euro von der Gesamtsumme des Kindergeldes dienen der Förderung.

Nicht zur Familienförderung gehören existenzsichernde Leistungen, wie Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, da der Staat von Verfassungs wegen verpflichtet ist, allen Bürgerinnen und Bürgern ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Gewährt der Staat seinen Beamten oder Angestellten Familienzuschläge oder zahlt er an die Hinterbliebenen Witwengeld, liegt eine Familienförderung ebenfalls nicht vor, denn nur ein kleiner Teil der Familien ist anspruchsberechtigt. Der Staat agiert in diesen Fällen als Arbeitgeber. Bildungspolitische Maßnahmen wie das Schulwesen sind aus dem Bildungsauftrag des Staates abgeleitet und keine Familienförderung. Familienbezogene Leistungen der Sozialversicherung werden durch die Versichertengemeinschaft erbracht – nicht durch den Staat. Maßnahmen, die an die Ehe anknüpfen, scheiden als Familienförderung ebenfalls aus.

Bezogen auf das Jahr 2010 beziffert selbst das Bundesfamilienministerium die Familienförderung mit lediglich 55 Mrd. Euro.[5] Der Familienbund geht von einem noch geringeren Betrag aus, da das BMFSFJ Leistungen der Sozialversicherung unzutreffend als staatliche Familienförderung qualifiziert. Klar ist: Die angebliche Summe von 200 Mrd. Euro ist völlig überzogen und unseriös.[6] Nicht umsonst spricht der Familienbund seit langem von einem „Märchen“.[7]

Die staatliche Familienförderung umfasst sowohl monetäre als auch infrastrukturelle Maßnahmen. Die größten Anteile entfallen mit 18 Mrd. Euro auf den Förderanteil des Kindergeldes sowie mit 16 Mrd. Euro auf die Tagesbetreuung für Kinder.[8] Die häufig aufgestellte Behauptung, der Staat fördere einseitig durch monetäre Leistungen, lässt sich somit nicht bestätigen.

Unterschlagen wird in der Debatte, dass Familien einen Großteil der Familienförderung durch ihre Steuerzahlungen selbst finanzieren. Nicht unerheblich wirkt sich dabei die Entwicklung aus, dass das Steueraufkommen des Staates stärker durch Verbrauchssteuern generiert wird. Eltern sind gezwungen, einen Großteil ihrer Einkünfte für den Unterhalt der Familie und damit für den Konsum auszugeben. Verbrauchssteuern betreffen Familien besonders. Erzielt der Staat sein Steueraufkommen tendenziell mehr durch Verbrauchssteuern, steigt die Eigenfinanzierungsquote von Familien an.

 

2.)       Woran „krankt“ die Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen?

Die von den Medien zitierte Studie ist Teil der so genannten Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen in Deutschland. Die Gesamtevaluation geht zurück auf eine Vereinbarung zwischen der früheren Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen und ihrem damaligen Amtskollegen im Bundesfinanzministerium Peer Steinbrück. In der seit 2009 in mehreren Modulen durchgeführten Untersuchung werden u. a. 13 Maßnahmen wissenschaftlich analysiert mit dem Ziel, politische Handlungsempfehlungen abzuleiten. Überprüft werden insbesondere ökonomische Wirksamkeit und Effizienz.

Die Untersuchung geht weit über den Bereich der Familienförderung hinaus. Im einzelnen werden evaluiert: Kindergeld und Kinderfreibetrag, Elterngeld, Kinderregelleistungen, Kinderzuschlag, Wohngeld für Haushalte mit Kindern, beitragsfreie Mitversicherung des Ehepartners in der gesetzlichen Krankenversicherung, Beitrag für Eltern zur gesetzlichen Pflegeversicherung, Ehegattensplitting, steuerlicher Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, Absetzbarkeit der Kinderbetreuungskosten, Kinderbetreuung, Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende sowie höheres Arbeitslosengeld für Arbeitslose mit Kindern.

Das Projekt wird von BMFSFJ und BMF gemeinsam getragen. Externe Geschäftsstelle für die Gesamtevaluation ist die Prognos AG. Im Laufe des Jahres 2013 soll der Endbericht veröffentlicht werden.

Eine wissenschaftlich fundierte Analyse der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen ist an sich zu begrüßen. Problematisch ist die einseitig ökonomische Sichtweise der Untersuchung. Offenbar lag bei den Initiatoren die Vorstellung zugrunde, man könne durch eine Optimierung familienpolitischer Maßnahmen bestimmte Verhaltenssteuerungen bei Familien bewirken, die mit arbeitsmarkt-, haushalts- und bevölkerungspolitischen Zielsetzungen in Einklang zu bringen sind.

Mittlerweile hat man erkannt, dass aufgrund der Eigendynamik und Komplexität familiären Lebens die Gestaltung einzelner Maßnahmen nicht zwingend zu den beabsichtigten Verhaltensänderungen bei Familien führt. Zu hinterfragen bleibt damit aber nicht nur das technokratische Grundverständnis der Untersuchung.

Mehr noch stößt auf, dass die Perspektive der Familien insgesamt „unter die Räder“ zu kommen droht. So wird in der aktuell diskutierten Studie nach den Steuereinnahmen des Staates und den Einnahmen der Sozialversicherung, nicht aber nach den Wünschen und Bedürfnissen von Familien gefragt. Ein ökonomisches Kosten-Nutzen-Kalkül dominiert. Familieninteressen spielen als Bewertungsmaßstab keine Rolle. Nicht zuletzt der starke Einfluss des BMF und seiner Interessen dürfte zu dieser Schieflage beigetragen haben.

Die Gesamtevaluation „krankt“ am unzureichenden familienpolitischen Ansatz. Familienpolitik hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass Familien ihre Lebensentwürfe umsetzen können. Familienpolitik ist Ermöglichungspolitik zugunsten von Familien. Familienpolitik zielt auf die Schaffung von Wahlfreiheit und Familiengerechtigkeit.

Die Gesamtevaluation und die aktuelle Debatte zeigen, dass andere Ziele und Interessen die vorherrschende Rolle spielen. Unter dem Deckmantel der Familienpolitik agieren Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Bevölkerungs- und Fiskalpolitik. Notwendig ist ein Bewusstsein dafür, dass Familienpolitik aus der Sicht von Familien zu gestalten ist und dabei einen unersetzbaren Eigenwert für unsere Gesellschaft hat. Denn ohne Familien hat Deutschland keine Zukunft.

 

3.)       Ist das Kindergeld „wenig effektiv“[9]?

Wie bereits dargestellt dient das Kindergeld überwiegend der Rückerstattung zu viel erhobener Lohnsteuern. Es handelt sich insoweit nicht um eine frei verfügbare Förderleistung des Staates, sondern um ein Instrument zur Sicherstellung der verfassungsmäßig gebotenen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Folglich ist das Kindergeld auch im Einkommensteuergesetz geregelt.[10]

Der über die Steuerfreistellung hinausgehende Teil des Kindergeldes wirkt als Förderleistung in unteren Einkommensgruppen am stärksten. Mit wachsendem Einkommen schmilzt der Förderanteil ab. Von einer Reduzierung des Kindergeldes wären somit Familien im unteren und mittleren Einkommensbereich besonders betroffen.

In einer Allensbach-Umfrage wurde das Kindergeld von 87 Prozent der Eltern und von 85 Prozent der Bevölkerung als die mit Abstand wirksamste Familienleistung bewertet.[11] An diesem Beispiel wird besonders deutlich, wie sehr sich die Bewertung der noch unveröffentlichten Studie der Gesamtevaluation von der Sichtweise der Familien entfernt.

 

4.)       Ist das Ehegattensplitting „ziemlich unwirksam“[12]?

Das Ehegattensplitting stellt lediglich sicher, dass Ehepaare mit gleichem Gesamteinkommen immer gleich besteuert werden. Ohne Ehegattensplitting müssten aufgrund des progressiven Steuertarifs Ehepaare mit unterschiedlich hohen Einkommen von Frau und Mann höhere Steuern zahlen als jene Ehepaare, bei denen die Einkommensanteile gleichmäßig verteilt sind.

Ehen müssen bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gleich besteuert werden. Das folgt aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der steuerlichen Gleichbehandlung. Das Ehegattensplitting gewährleistet somit – wie das Bundesverfassungsgericht zutreffend feststellt – die sachgerechte Besteuerung der Erwerbs-, Wirtschafts- und Verbrauchsgemeinschaft Ehe.[13] Die Wirksamkeit des Ehegattensplittings ist gegeben.[14]

 

5.)       Was ist die Funktion der beitragsfreien Mitversicherung von Ehepartnern in der gesetzlichen Krankenversicherung?

Die Ehe als Gemeinschaft verbindlicher und umfassender wechselseitiger Verantwortungsübernahme entlastet den Staat in vielfältiger Weise. Deshalb steht sie „unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“ (Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz). Die Erziehung von Kindern, die Pflege von Angehörigen, Haushaltsführung, Krankheit oder Behinderung, Arbeitslosigkeit, Studium oder Weiterbildung, bürgerschaftliches Engagement, Freizeitpräferenzen und andere Gründe können ursächlich dafür sein, dass einer der Ehepartner phasenweise oder dauerhaft nur eingeschränkt oder nicht erwerbstätig ist.

Ist ein Partner nicht oder nur gering erwerbstätig, ist der andere Partner zum Unterhalt verpflichtet. Aus einem Einkommen wird der Unterhalt beider Partner gedeckt. Auch die Beitragszahlungen für die gesetzliche Krankenversicherung werden aus dem einen Einkommen erbracht, das dem Unterhalt beider dient. Deshalb ist es konsequent, auch beide Partner in die Krankenversicherung einzubeziehen.

Bei genauer Betrachtung wird deutlich, dass es eine „beitragsfreie“ Mitversicherung im eigentlichen Sinne nicht gibt. Der erwerbstätige Ehepartner wird bis zur Beitragsbemessungsgrenze auch mit dem Anteil seines Erwerbseinkommens zur Beitragszahlung herangezogen, das dem Unterhalt des anderen Partners dient. Zudem bleibt darauf hinzuweisen, dass die Maßnahme keine Leistung des Staates ist, sondern von der Versichertengemeinschaft erbracht wird.

 

6.)       Was muss sich im familienpolitischen Diskurs grundlegend ändern?

Der Familienbund der Katholiken mahnt angesichts der aktuellen familienpolitischen Debatten an:

Politik und Medien sind aufgerufen, seriös mit den Zahlen zu den Familienleistungen umzugehen. Das „200 Mrd. Euro Märchen“ suggeriert eine üppige Förderung seitens des Staates, die in diesem Umfang bei weitem nicht besteht.

Familienpolitik muss wieder neu als Politik aus der Perspektive von Familien verstanden werden. Die Ziele und Methoden der Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen sind daraufhin zu überprüfen und zu verändern.

Ehe- und familienbezogene Maßnahmen sind keine beliebige Verfügungsmasse des Staates. Viele Instrumente tragen verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung. Bestehende Lücken in der Familienförderung lassen sich nur durch einen sachgerechten Ausbau von Leistungen schließen. Familienpolitik als Zukunftspolitik gehört in diesem Sinne ganz nach oben auf die politische Agenda.

Familienbund der Katholiken  - Bundesgeschäftsstelle

Fachinformation[1]
7. Februar 2013

 

[1] Zuständiger Referent in der Bundesgeschäftsstelle des  Familienbundes: Markus Faßhauer

[2] vgl. BMFSFJ, Bestandsaufnahme der familienbezogenen Leistungen und Maßnahmen des Staates im Jahr 2010

[3] Der Kinderfreibetrag wird lediglich bei der Berechnung des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer berücksichtigt.

[4] BMF, Datensammlung zur Steuerpolitik, Ausgabe 2012, Tab. 2.8.1

[5] BMFSFJ, Familienreport 2012, S. 44

[6] Eine detaillierte Analyse des Familienbundes wird in den kommenden Tagen erscheinen.

[7] vgl. u.a. Stimme der Familie 1-2/2007

[8] BMFSFJ, Bestandsaufnahme der familienbezogenen Leistungen und Maßnahmen des Staates im Jahr 2010

[9] Die in den Medienberichten zitierte Studie der Gesamtevaluation bewertet das Kindergeld als „wenig effektiv“.

[10] vgl. § 31 und §§ 62 ff. Einkommensteuergesetz

[11] Allensbacher Archiv, IfD-Umfragen 10023 (2008)

[12] Die in den Medienberichten zitierte Studie der Gesamtevaluation bewertet das Ehegattensplitting als „ziemlich unwirksam“.

[13] vgl. BVerfGE 61, 319, 345 ff.

[14] Eingehend mit dem Ehegattensplitting beschäftigt sich auch die Fachinformation des Familienbundes vom 4. Oktober 2012.